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Online-Seminare – die neue und zukunftsweisende Lernform?

Was bieten Online-Seminare wirklich?

Seit einigen Jahren gibt es eine neue Seminarform, auf die eigentlich alle gewartet haben: Seminar via Internet am Bildschirm. Insbesondere in der Corona-Krise schien dies die einzig „wahre“ Möglichkeit einer Witerbildung zu sein. Solche Online-Seminare“ (oder auch E-Learning) werden mit beispielsweise folgenden Vorteilen angepriesen:

  • Kein Reiseaufwand, einfach daheim am PC oder auch am Handy sitzen
  • Kaum Zeitaufwand, manche Seminare dauern nur 1 bis 2 Stunden
  • Sehr preiswerte Seminare, „Schnupperseminare“ gibt es oft sogar kostenlos
  • Bei einigen kann man sogar selbst den Zeitpunkt der Veranstaltung frei wählen oder auch jederzeit unterbrechen und später weitermachen
  • Der Unternehmer muss nicht einen oder mehrere Tage auf seine Mitarbeiter verzichten
  • Durch deutlich kürzere Schulungssequenzen kann man auch mal „zwischendurch“ ein Seminar besuchen
  • Die Seminargebühren sind meist niedriger
  • Bei Bedarf ist der Mitarbeiter trotz Seminarbesuch an seinem Schreibtisch erreichbar
  • Ein zumindest für den Trainer wichtiges Argument ist auch, dass der Trainer sich keine Grippe von verschnupften Teilnehmern einfangen kann
  • Keine Ansteckungsgefahr z.B. durch Corona-Viren

Das alles mag sich vorteilhaft anhören, allerdings stehen dem ganz erhebliche Nachteile gegenüber. Diese werden leider aber nie genannt. Denn der Lernerfolg solcher Seminare, sofern es nicht nur ums Auswendiglernen geht, ist nach unserer Erfahrung und allen unseren Befragungen praktisch nicht vorhanden. Einzig sind teilweise Wissensfragmente bei den Teilnehmern angekommen, was immerhin dazu reicht, dass man einen Begriff schon mal gehört hat. Was er aber bedeutet, weiß man nicht und wie man damit umgeht, weiß man schon zweimal nicht und wie man damit gar die eigenen Erfolge ausbauen kann, weiß der Teilnehmer erst recht nicht.

Das Vermitteln von Kenntnissen oder Fertigkeiten klappt im Online-Seminar nicht wirklich. Auch das Begreifen von tiefergehenden Zusammenhängen, was zu der angestrebtem Verhaltensänderung führen könnte, konnten wir nicht ein einziges Mal bei diesen Teilnehmern beobachten.

Dennoch wird E-Learning als das Lernen der Zukunft angepriesen. Solange es nur um reine Wissensvermittlung (also Fachseminare, Sprachkurse usw.) geht, kann man im Online-Seminar durchaus etwas lernen. Wenn es aber um Soft-Skills geht und man Erkenntnisse und Fertigkeiten insbesondere im zwischenmenschlichen Bereich, in der Kommunikation, im Umgang miteinander erlangen will, vielleicht auch eine Änderung des eigenen Verhaltens erzielen will, ist dies nur im Präsenzseminar erfolgreich möglich. Denn genau für solche Themen wurden Seminare erfunden.

Ein gutes Seminar lebt auch von dem, was man nicht einfach mitschreiben kann. Dazu gehören Stimmungen, Aha-Erlebnisse in der Gruppe oder der Meinungsaustausch in der Pause.

Was eigentlich ist ein Seminar?

„Vorn steht einer, der erzählt was, die anderen schreiben mit.“ Noch immer ist diese Meinung weit verbreitet. Ähnlich könnte man den Bau eines Autos beschreiben: „Man muss Blech zurechtbiegen und 4 Räder unten dranschrauben.“ Beides ist natürlich kompletter Unfug.

In keinem seriösen Seminar erzählt einer was, was die Teilnehmer dann mitschreiben. Leider gibt es allerdings auch heute noch genau solche „Seminare“, in denen die Teilnehmer ungefiltert einfach mitschreiben, selbst nicht zu Wort kommen, und Fragen sind sowieso nicht erlaubt. Und die besonders Schlauen stellen ein Diktiergerät hin, was das Mitschreiben ersetzt.

Der Begriff „Seminar“ hat seinen Ursprung im Lateinischen. Das Verb „seminare“ bedeutet „säen“ oder „hervorbringen“. Das trifft exakt auf ein Seminar zu. Im Seminar wird gesät, was sich dann in der Umgebung, in der Gruppe – auch mit Hilfe des Trainers – entwickelt. Dabei geht es um Fähigkeiten, Fertigkeiten, Wissen, Erkenntnisse, die man sich in der Gruppe erarbeitet. Der Trainer liefert nur den Rahmen, die Lernatmosphäre und den grundsätzlichen Input, er kann korrigieren und bei Bedarf nachhelfen, wenn etwas in die falsche Richtung läuft. In einem (richtigen) Seminar erarbeiten die Teilnehmer das was sie lernen. Und weil sie es selbst erarbeiten, kennen sie auch die Zusammenhänge und die Grundlagen. Sie haben es verinnerlicht, sie können damit umgehen und können das Erlernte wirklich anwenden. Wer nur mitschreibt und etwas auswendig lernt, kann wenig damit anfangen.

Online geht sowas eben nicht

Und gerade auf dieser Basis ist es natürlich vollkommen absurd, bei Seminaren die „Digitalisierung“ einzuführen, denn das gemeinsame Erarbeiten kann nicht einmal in Form einer Videokonferenz effektiv funktionieren. Geschweige denn mit einem Online-Seminar, wo die Teilnehmer sowieso praktisch nicht zu Wort kommen.

Wer gemeinsam bspw. in einem Seminar etwas entwickeln will, braucht den Blick fürs Ganze. Er muss zu jedem Teilnehmer direkten (Augen-)Kontakt haben und jede Bemerkung muss ausgesprochen werden können, auch ohne zuerst Redeerlaubnis beim Trainer anzufordern. Wichtig sind die vielen menschlichen inoffiziellen Signale der Teilnehmer, an denen sich jeder orientiert, der mit Vorschlägen kreativ sein will. Es geht gerade um Gestik, um die Mikrobewegungen im Gesichtsausdruck, die z.B. Zustimmung signalisieren, wenn jemand etwas vorschlägt oder etwas kritisiert. Nichts von alledem ist in einem Online-Seminar möglich.

Wie gemeinsames kreatives Entwickeln abläuft, möchte ich am Beispiel eines Lagerfeuers in freier Natur zeigen. Die Teilnehmer sollen alle notwendigen Vorbereitungen treffen und dann das Lagerfeuer entzünden. Jeder Teilnehmer erhält Aufgaben oder sucht sie sich selbst aus: Holz sammeln, Stroh suchen, große Steine für Einfassung holen, Holz aufschichten, usw. Gemeinsam schafft man es dann, das Feuer zu entzünden.

Und nun überlegen Sie sich einmal, wie dieses gemeinsame Vorgehen online funktionieren sollte. Dabei geht es gar nicht darum, das Lagerfeuer anzuzünden. Es geht um das gegenseitige Unterstützen und Beobachten, es geht um das Erkennen, wo etwas schief läuft oder wo etwas fehlt oder wo man dem Kollegen Hilfe bieten kann. Genau so entwickelt sich ein gutes Seminar. Aber eben nur offline. Online kann es nicht funktionieren. Online brennt kein Feuer.

Zwei Varianten des E-Learning

Es gibt zwei grundlegend sehr unterschiedliche Online-Seminar-Angebote: Das eine ist wirklich so etwas wie eine Seminarveranstaltung, wo Trainer und Teilnehmer per Video in Echtzeit verbunden sind. Oft können aber nur die Teilnehmer den Trainer sehen, nicht umgekehrt. Viele Teilnehmer wollen auch unerkannt bleiben, gerade letzteres schafft niemals eine günstige Lernatmosphäre.

Die zweite Variante ist eigentlich nur ein Vortrag, der als Video aufgenommen wurde (sog. „Tutorial“). Vorteil dieses „Films“: man kann ihn jederzeit starten und auch wieder anhalten.

Passives E-Learning

Diese zweite Variante funktioniert ähnlich wie ein Buch, das ich dann lese, wenn ich gerade Zeit habe und solange drin lese, wie ich möchte. Dieses E-Learning ist prinzipiell nichts anderes als ein vom Computer vorgelesenes Buch, vielleicht untermalt durch Bilder des Vortragenden, damit es etwas realistischer aussieht. Woanders nennt man es Hörbuch und ist dann sogar weitaus preiswerter.

Aktives E-Learning

Aktives E-Learning heißt, dass ich wie in einem Präsenzseminar zu bestimmten festgelegten Zeiten am Seminar teilnehme, also an meinem Bildschirm sitzen muss. Um sich noch besser von Präsenzseminaren abzuheben, dauert ein Online-Seminar häufig nur ein paar Stunden, manchmal sogar nur 20 Minuten.

Mit dem was ein Seminar ausmacht, haben aber beide Varianten (aktiv / passiv) nichts zu tun. Die passive sowieso nicht, denn – wer lesen kann – kann sich genauso gut ein preiswertes Buch zu dem Thema kaufen. Und die aktive Variante ist auch nicht viel mehr als ein Vortrag, bei dem ich in diesem Fall eben live dabei bin. Von den übrigen Teilnehmern im Seminar bekomme ich nicht wirklich viel mit, allenfalls mal Wortmeldungen, die allerdings meist schriftlich erfiolgen und häufig – wenn überhaupt – erst am Ende des „Seminars“ vorgelesen werden. So findet beispielsweise die übliche für den Lernerfolg sehr wichtige Gruppendynamik kaum statt. Auch kleine Bemerkungen, Raunen, Tuscheln usw. wären aber essenziell für ein Seminar. Es geht nämlich um Interaktion, um das Entstehen einer Dynamik. Es geht auch um Stimmungen, auch mal um Spaß oder Betroffenheit. All das ist bei einem Online-Seminar eher nicht möglich.

Online-Seminar oder Präsenzseminar?

Es ist genau dasselbe wie mit einem Live-Konzert oder mit einem Fußballspiel im Stadion. Wer will schon ein Fußballspiel im Radio anhören, wenn er die Möglichkeit hätte, selbst dabei zu sein? Und wer verzichtet auf ein Live-Konzert, wenn er auch eine MP3-Datei downloaden kann?

Und wer würde anstelle eines Urlaubs im Grand Canyon einfach einen Doku-Film anschauen?

In all diesen Fällen verändert das ganze Drumherum die Erlebnisqualität ganz erheblich. Selbst wenn ich im Stadion den Ball vielleicht schlechter sehe als zuhause am Fernseher, so bringt mir das Spiel im Stadion wesentlich mehr. Dasselbe gilt für das Konzert. Sogar wenn es bei einem Open-Air-Konzert regnet, würde ich es nie gegen eine „digitale“ Version eintauschen wollen. Und wer würde ernsthaft einen Film einem Urlaub vorziehen? Natürlich niemand. Gerade in Corona-Zeiten wurde sehr deutlich, wie wichtig den Menschen das Live-Erleben ist. Der Bildschirm ist nur eine Notlösung.

Mit einem Seminar ist es nicht anders. Nur wer dabei und „mittendrin“ ist, kann vom Seminar wirklich und umfassend profitieren. Die Interaktion mit den übrigen Seminarteilnehmern ist fundamental wichtig, fördert die Wahrnehmung, ermöglicht neue Erkenntnisse und vor allem lässt sich nur in der Gruppe das eigene Verhalten korrigieren oder verändern. Per Video-Verbindung fehlen all diese wichtigen Elemente.

Einzig wenn es um reine Wissensvermittlung geht (Sprachkurs, Bedienen einer Maschine, Buchhaltungskurs, neue DIN-Normen auswendig lernen usw.), ist dies im Online-Seminar möglich, obwohl auch da die Defizite unübersehbar sind. Allerdings kann man genauso gut ein Buch kaufen oder, wer nicht lesen kann, kann ein „Tutorial“ im Internet anschauen, beides wäre weitaus preiswerter als ein Online-Seminar.

Geht es um Verhaltensänderung, um Begreifen von Zusammenhängen oder Einschätzen und Bewerten von Situationen, insbesondere auch um Kommunikation, um Anleiten, um Mitarbeiterführung, so kommt man an einem guten Präsenzseminar nicht vorbei. Einem Online-Seminar fehlen die wesentlichen Merkmale für solche Themen, es kann hier nicht zum Erfolg führen.

Wie sieht das Online-Seminar in der Praxis aus?

Der Teilnehmer eilt hastig an seinen Arbeitsplatz, denn das Online-Seminar hat vor einigen Minuten bereits begonnen. Da war er gerade noch im Gespräch mit seinen Mitarbeitern. Jetzt aber schnell. Rechner hochfahren, einloggen, Software starten. Der Teilnehmer hört zu und versucht herauszufinden, um was es gerade geht. Schon klingelt sein Telefon. Erst ignoriert er es, aber nach einigen Klingeltönen nimmt er den Hörer doch ab. „Hör her, ich hab hier gerade ein Online-Seminar laufen, das geht jetzt nicht, ich melde mich später. . . . . Was meinst du? Nein ich sagte doch, ich hab jetzt keine Zeit! .  . .  Also gut, ich bin in 10 Minuten da.“

Schon erledigt – das Online-Seminar.

Morgen kommt ja Teil 2 des Online-Seminars. Und der Seminaranbieter stellt eine Aufzeichnung des Teil 1 als Video zur Verfügung für diejenigen, die es nochmal sehen wollen. Betonung auf „nochmal“, um vielleicht ein paar Details noch zu klären. Das Video ist aber natürlich nicht als Ersatz für das Online-Seminar geeignet, sonst bräuchte man ja kein Online-Seminar und könnte gleich ein Video anschauen.

Trotzdem eignet sich der Teilnehmer per Video (unter häufiger Nutzung der Vorlauftaste) etwas Wissen zu Teil 1 an und besucht am nächsten Tag das Online-Seminar Teil 2. Hier ist er wirklich pünktlich da, nur dummerweise versteht er vieles nicht, weil er umfangreiche Wissenslücken hat, die Teil 1 hätte füllen sollen.

Entsprechend desinteressiert schaltet er nach einer Stunde den Ton leise und widmet sich seiner Arbeit. Solange die Online-Verbindung steht, bekommt er am Ende auch sein Teilnahme-Zertifikat. Gelernt hat er nichts, aber sein Chef ist zufrieden.

Aber der Reihe nach

Schon der Einstieg (Beginn der Veranstaltung) ist bei vielen Online-Seminaren umständlich. Immer wieder klappt bei einigen Teilnehmern die Technik nicht so wie gewollt. Es wird experimentiert und wenn es doch nicht klappt, wird der eine oder andere einfach wieder ausgeladen oder ignoriert.

Kommunikation oder gar Interaktion ist sehr begrenzt. Vor allem die Teilnehmer haben untereinander häufig kaum Möglichkeiten, Informationen spontan leicht auszutauschen. Ansonsten hat der Trainer die Kontrolle. Auch darüber, Feedback von den Teilnehmern zu bekommen – oder eben nicht.

Aus (vielleicht) technischen Gründen sind die Gesichter einiger Teilnehmer nicht zu sehen und die Bilder einfach schwarz. Das führt oft dazu, dass die anderen sich fragen  „warum soll ich mich denn zeigen?“ und schalten ihre Kamera ebenfalls aus oder drehen sie weg. Zusammenarbeit, Gemeinsamkeit, Vertrauen – wie im Präsenzseminar selbstverständlich – fehlen einfach. Es ist kein Seminar.

„Alter Wein in neuen Schläuchen“

In einem guten Präsenz-Seminar wird das Thema von den Teilnehmern entwickelt, der Trainer gibt nur generellen Input oder steuert durch Aufgaben und Fragen die Arbeit der Teilnehmer. Sogenannter „Frontalunterricht“ aus dem vorigen Jahrhundert ist längst out, weil dabei die Teilnehmer kaum etwas lernen. Aber dank Online-Seminaren wird der Frontalunterricht durch die Hintertür wieder neu eingeführt – so sind wir wieder bei der veralteten Didaktik von vor 30 Jahren. Aber den Teilnehmern wird erzählt, sie erleben das Neueste.

Erfolg ist Nebensache

Argumente für E-Learning handeln vorwiegend davon, wie der Lernprozess vereinfacht werden kann und weniger „belastend“ für die Arbeitsumgebung ist. Nicht etwa geht es darum, das eigentliche Ziel (nämlich den Lernerfolg) zu gewährleisten oder gar zu verbessern.

Und in der Tat bleibt der Lernerfolg weitgehend aus. Alles was zum Lernen wichtig ist, wie beispielsweise eine geeignete Lernatmosphäre, ruhige Umgebung, ein spannend aufbereitetes Thema, gruppendynamische Prozesse oder auch ein Trainer, der intuitiv auf die Teilnehmer eingehen kann, ist einfach nicht vorhanden.

Kaum jemand kann ernsthaft in 1-stündigen Sequenzen etwas Sinnvolles lernen und neue Erkenntnisse gewinnen. Aber die meisten Teilnehmer sind ja nicht mal ausschließlich auf das Online-Seminar konzentriert. Wer in seinem Büro sitzt, wird zwangsläufig abgelenkt. Schnell mal eine Email beantworten, schnell mal das klingelnde Telefon abnehmen, schnell mal ein Formular raussuchen, schnell mal einen Vertreter abwimmeln. Schon ist die Stunde um. – Ach, da war ja noch ein Online-Seminar? Oh, offenbar schon zu Ende.

Warum ich als Trainer keine Online-Seminare anbiete

Ein gutes Seminar lebt vor allem von der Interaktion zwischen den Teilnehmern untereinander und zum Trainer. Darauf lege ich höchsten Wert, denn auf diesem Wege werden erheblich bessere und nachhaltigere Lernerfolge erzielt als durch einfaches Zuhören. Und vieles ist allein durch Zuhören gar nicht möglich.

Ein Online-Seminar bietet nur sehr eingeschränkt diese wichtige Interaktion – wenn überhaupt.

Für einen guten Trainer ist es unerlässlich, die Reaktion der Teilnehmer auf seine Worte zu erkennen. Dabei geht es nicht um Wortmeldungen, um Gelächter oder ähnliches. Es geht um Gestik, um Mikrobewegungen in der Mimik. Der Trainer kann erkennen, ob und wie interessiert Teilnehmer seine Informationen auf- oder annehmen. Er erkennt, welche Teilnehmer Zusatzinformationen benötigen oder mit bestimmten Aussagen gar nichts anfangen können. So kann er individuell nachsteuern, um alle Teilnehmer gleichrangig mit „ins Boot“ zu holen. Im Online-Seminar ist das praktisch unmöglich.

Genauso unangenehm und nachteilig ist, dass ich als Trainer eines Online-Seminars gar nicht weiß, wie viele Teilnehmer mir eigentlich zuhören. Auch in einem Präsenzseminar passiert es hin und wieder, dass Teilnehmer den Raum kurz verlassen oder anderweitig abgelenkt sind. Dort sehe ich das und kann notfalls(!) auf den Teilnehmer warten, wenn gerade entscheidende Elemente besprochen werden. Im Online-Seminar weiß ich gar nichts über die Teilnehmer. Wenn einer angemeldet ist und der Ton leise gestellt ist und er nebenbei telefoniert oder andere Arbeiten verrichtet, zählt er formell als Teilnehmer, er nimmt aber nicht wirklich teil und bekommt auch kaum etwas vom Thema mit. Aber er kann nachher seinem Chef die Teilnahmeurkunde vorlegen.

Auch wenn ein Teilnehmer sich nur für eine halbe Stunde mal ausblendet, so hat er den roten Faden verloren. Er kann dem Thema nicht mehr vollständig folgen und auch kaum mehr etwas lernen, da das Seminar nun für ihn langweilig geworden ist. Er versteht Zusammenhänge nicht mehr und kann nichts mehr lernen.

Kurz-Online-Seminare

Daher sind  manche Trainer inzwischen auf die glorreiche Idee gekommen, ganz kurze Sequenzen von ein bis zwei Stunden Dauer als Seminar anzubieten. Das erhöht natürlich die Chance, dass ein Teilnehmer während des „ganzen“ Seminars dabei ist. Und auch die Teilnehmer wünschen sich kürzere Sequenzen, die können sie leichter zwischen zwei Terminen einschieben. Aber damit ist nun erneut eine Abwertung des Seminars verbunden, denn es verkümmert zum Lückenfüller. Der für ein gutes Seminar so wichtige Spannungsbogen lässt sich in ein oder zwei Stunden gar nicht aufbauen. Der Lernerfolg bleibt mit hoher Wahrscheinlichkeit aus.

Aber worum geht es überhaupt? Eigentlich will (oder soll) ein Seminarteilnehmer etwas über ein anspruchsvolles Thema lernen, sich Kenntnisse und Fähigkeiten aneignen, die er für seinen Beruf benötigt. Wie sollte das mit kurzen Online-Seminar-Häppchen möglich sein? Offenbar geht es gar nicht mehr um Weiterbildung, sondern nur um die Teilnahmeurkunde. Die ist wichtig für die nächsten Gehaltsverhandlungen oder Bewerbungsgespräche bei einem neuen Arbeitgeber. Und für die Firma oder den Abteilungsleiter, der seine Mitarbeiter zu einem Online-Seminar anmeldet, ist es – so glaubt er – lukrativ und innovativ. Vor allem war es in jeder Hinsicht billig.

Dass manche Trainer die Online-Seminare favorisieren und als ideale Lösung für die Zukunft sehen, wo Menschen immer weniger Zeit haben, weniger reisen wollen und schnell mal zwischendurch was lernen wollen, ist nachvollziehbar. Nicht weil Menschen weniger Zeit haben (wir alle haben in Wirklichkeit immer mehr Zeit), sondern weil diese Trainer auf den Zug der vermeintlich innovativen Lösungen aufspringen und so wieder (vorübergehend) zu Aufträgen kommen, die sie mit Präsenzseminaren längst nicht mehr hatten.

Rationeller, schneller, auf den Punkt gebracht

Genauso könnte man einen 2-stündigen Kinofilm auf 5 Minuten kürzen, am besten als einseitiges Textdokument, in dem der gesamte Sachverhalt genauso wiedergegeben werden kann. Vielleicht sogar in einem Satz: „Ein Einbrecher knackt einen Tresor, löst den Alarm aus. Er entwischt der Polizei, versteckt sich, ist auf der Flucht, aber am Ende wird er doch gefasst.“ Wozu also sollte man sich einen langen Kinofilm ansehen. In dem Satz ist doch alles gesagt.

Wenn Sie das nicht glauben: Sehr gut! Denn das gleiche gilt für ein gutes Seminar. Auch da gehört sehr viel mehr dazu als nur ein paar informative Sätze, Tabellen oder Listen.

Diskussionen sind kaum möglich

Und echte Diskussionen habe ich noch nie in einem Online-Seminar erlebt, bei den meisten ist der Ton der Teilnehmer ohnehin abgeschaltet, bestenfalls können sie eine Sprecherlaubnis beantragen, die der Trainer dann aber steuert. Und wenn ein Trainer es nicht im Griff hat, kommen ein oder zwei Teilnehmer vorrangig zu Wort, übernehmen manchmal sogar indirekt die Leitung des Seminars mit Halbwissen, Plattitüden und stereotypen Formulierungen. Die anderen können sich gar nicht wehren, kommen nicht zu Wort und klinken sich irgendwann einfach aus.

Gerade aber das Miteinander in der Diskussion (trotz auch gegenteiliger Standpunkte) ist sehr wichtig und lässt sich fast nur in Präsenzseminaren realisieren.

Im Online-Seminar kommt vielleicht mal eine Frage von einem Teilnehmer, der Trainer beantwortet sie, erledigt.

Im Präsenzseminar hingegen kann eine einfache Frage viel leichter zu Diskussionen, zu emotionalen Äußerungen führen. Auch eigene Einschätzungen werden eher geäußert. Die Teilnehmer im Präsenz-Seminar erfahren wesentlich mehr Informationen aufgrund dieser Frage, als wenn der Trainer im Online-Seminar die Frage mit Ja oder Nein beantwortet.

Ganz wichtig aber für den Erfolg eines Seminars ist die Gruppendynamik. Diese richtet das Seminar im Sinne der Teilnehmer aus. Im Online-Seminar gibt es das in dieser Form überhaupt nicht. Die Gruppendynamik im Präsenzseminar verhindert bspw., dass ein Teilnehmer mit seinen Meinungen das Seminar dominiert. Auch gibt es Leute, die ständig zu allem und jedem ihren Kommentar abgeben müssen, die Gruppendynamik verhindert i.d.R. auch das. Umgekehrt, auch wenn der Trainer sich vielleicht vertut oder zu schnell vorgeht und es selbst nicht bemerkt, so signalisiert ihm die Gruppe das normalerweise ohne Worte. Das ist im Online-Seminar nicht möglich. Letztlich bleibt das Online-Seminar im besten Fall ein Vortrag mit vereinzelter Fragestellung durch Teilnehmer, im schlechteren Fall eine Selbstdarstellungsveranstaltung des Trainers oder einzelner Teilnehmer oder eine ziellose Aneinanderreihung von Informationshappen, die jeder Teilnehmer für sich verwertet oder auch nicht.

Ziel erreicht? Sicher nicht.

Mit Online-Seminaren das gesteckte Ziel zu erreichen ist schwierig und in der praktischen Umsetzung sogar fast nicht möglich.

Dann lieber im Moment gar kein Seminar, wenn es nicht möglich ist, denn der (Zeit-)Aufwand für ein solches Online-Seminar ist viel zu hoch für das Wenige, was unter dem Strich übrig bleibt.